Urlaub auf dem Bauernhof. Ich sehe das Foto. Ich erinnere mich, dass das mein Lieblingskleid war und ich verspüre eine große Traurigkeit, dass dieses Kleid nicht mehr bei mir ist. Ich weiß noch, wie schön ich mich fühlte, wenn ich es trug. Ich spüre noch wie es auf meiner Haut lag, wie sich der Rock um meine Beine bewegte. Hier habe ich noch Röcke getragen. Sommerurlaub. Wir trafen viele Freunde und Freundinnen, Eltern und Kinder, die wir schon seit Jahren kannten. Alle kamen wieder. Jedes Jahr im Sommer. Es war immer ein großes Hallo. Alle waren aufgeregt. Alle freuten sich. Es war eine besondere Zeit im Jahr. Eine Zeit der Freiheit. Eine Zeit der Unbeschwertheit. Ich kann mich an kaum einen Namen mehr erinnern. Wir waren eine große Schar von Kindern. Den ganzen Tag auf den Beinen. Mein Zimmer war im Dachgeschoss eines Nebengebäudes. Mein Bruder wohnte auch dort. Meine Eltern eine Etage tiefer. Der Hahn gab den Takt vor und eröffnete den Tag ohne Kontrolle:
Ich stehe auf, leise, genieße die Ruhe die noch überall zu spüren ist. Gehe in den Kuhstall. Jede Kuh hat ihren Platz im Stall, vorne steht ihr Name auf einem kleinen Schild mit Kreide geschrieben. In ihren Ohren ist eine Plakette mit einer Zahl eingestanzt. Die Kälbchen stehen abseits in kleinen abgetrennten Boxen, bekommen ihre Milch durch einen Eimer mit Plastikzitze. Einmal wurde ein Kälbchen geboren und nach mir benannt. Ein Geschenk. Ein neugeborenes Wesen das meinen Namen trug. Ich war so glücklich und stolz. Da mochte ich den Namen, den man mir gegeben hatte. Ich konnte etwas so Schönes damit verbinden. Etwas Neues, ein unschuldiges Wesen. Er stand dem Kälbchen so viel besser als mir. Jeden Morgen helfe ich beim Melken, lege den Kühen die Melkdinger an die Euter. Vorsichtig schiebe ich sie zur Seite, lehne mich gegen sie, damit sie mich ranlassen an ihren Euter. Ich knie mich hin, rede behutsam mit ihnen, dass sie ihre Milch geben, die uns nicht zusteht. Sie haben gar keine andere Wahl. Ich weiß das. Ich möchte sie um Verzeihung bitten. Es ist ein Akt der Läuterung, wenn ich sie schon beraube. Ich sehe keinen Groll in ihren großen schönen braunen Augen, keinen Unmut und ich weiß, dass es falsch ist. Der Geruch ist himmlisch hier. Es riecht nach Kuhkacke und Heu und Stroh. Ich stapfe mit meinen Gummistiefeln durch die Kacke, genieße den Matsch, wie es sich anfühlt, wenn der Kackmatsch unter meinen Schritten auseinanderfließt, der Fladen seinen Zusammenhalt verliert. Es ist ein großes Glück, einen Kuhfladen zu erwischen. Die Kühe stehen auf Spalten, die meisten Fladen werden gar nicht erst zu solchen. Es ist kalt und zugig. Hinten wird gemolken und vorne wird das Heu verteilt. Die Kühe zucken und recken ihre Hälse. Sie sind laut und wirken aufgeregt. Gezwitscher dazwischen. An der Decke, in den Ecken der Stalldecke haben Schwalben ihre Nester gebaut. Sie fliegen mit lautem Gezeter heraus und hinein. Manchmal hört man die Jungen jaulen und quietschen. Ich recke meinen Kopf. Wie gerne würde ich ein Schwalbenjunges sehen und in meiner Hand halten. Es schützen. Aber sie werden schon beschützt. Sie brauchen mich nicht. Ich verspüre Rührung, Glück und Trauer zugleich. Sie können einfach herumfliegen. Ich bewundere sie wehmütig. Die Milch fließt durch die Melkdinger an den Eutern in Schläuche die über den Kühen verlaufen in den Raum mit dem Kühltank, in dem die Milch aufbewahrt wird. Hier ist alles ganz sauber. Von hier wird die Milch in den Milchtanker verladen und weggebracht. Etwas von der warmen Milch, aus dem Euter-Herzen der Kuh gelangt zum Frühstück. Sie schmeckt lecker, warm und riecht nach Kuh. Hinter dem Kühlraum kommt man durch eine Tür in die Küche der Pension. Ich ziehe meine Stiefel auf der Schwelle aus. Ich bewege mich wie selbstverständlich hin und her. Hier ist es plötzlich warm und gemütlich und voller menschlichem Treiben. Ich schaue beim Zubereiten des Frühstücks zu. Warme Milch wird zu warmen Kakao. Eier werden gekocht, Wurst und Käse auf Teller verteilt. Der Geruch von Brötchen liegt in der Luft. Servierwagen werden damit bestückt, um in den Essensraum geschoben zu werden. Ich klaue ein Stück Wurst, gehe zurück und gebe es einer der Katzen, die sich im Kuhstall herumtreiben und um meine Beine streifen. Die Kühe dürfen raus, wenn alle ihren weißen Saft abgegeben haben. Sie sind unruhig, sie wissen, dass es nun Zeit ist, auf die Weide zu gehen. Damit sie den richtigen Weg nehmen, werden die falschen Wege mit Stromdingern abgeriegelt, die von einer Seite zur anderen laufen und dann irgendwo eingehakt werden. Ich laufe am liebsten hinter den Kühen her und mit ihnen mit. Es wird gerufen. Manche haben Stöcke dabei, die sie über dem Kopf schwingen und Hiebe auf Kuh-Hintern verteilen. Aber die Kühe sind schnell, sie müssen nicht getrieben werden, sie können es kaum erwarten, vom Hof herunter und zum frischen Gras zu kommen. Auf der Weide sind viele Maulwurfshügel. Ich trete auf sie und merke, wie sie nachgeben, dann laufe und hüpfe ich zum nächsten. Das Nachgeben der Hügel, den richtigen Moment zum Absprung zu finden ist wichtig, ansonsten bricht mein Fuß in die Höhle der Bewohnerinnen ein. Die Kuhfladen hier sind alt und nicht mehr so herrlich glitschig, wenn ich auf sie trete. Manchmal sitzen Fliegen drauf, aber auch sie mögen die frische Kacke lieber.